Mit Konventionen brechen, um Recht und Gerechtigkeit neu zu definieren

Shownotes

Die Juristin Dr. Abir Haddad beschäftigt sich mit den Möglichkeiten eines neuen Rechtsdenkens für eine Zukunft angesichts von Klimakatastrophen und Megatechnologien. Dabei blickt die Gründerin und Direktorin des Institute for Legal Transformation auch in andere Länder und Kulturen. Mit ihren Themen appelliert sie nicht nur an Jurist*innen und Gesetzgebende, sondern auch an die Gesellschaft. Welche Chancen sieht sie für eine klimagerechtige Zukunft? Welches Mindset brauchen wir für eine zeitgemäße Rechtsprechung und soziale Gerechtigkeit? Darüber sprach sie auf der herCAREER Expo mit der Journalistin Stefanie Hornung.

Themen: Frauen in Führung | Legal Transformation | Klima | Gerechtigkeit

Über den Podcast der herCAREER: Im Podcast herCAREER Voice kommen Menschen zu Wort, denen eine vielfältige und gerechte Arbeitswelt am Herzen liegt – von der herCAREER Expo live und aus der herCAREER Community. Wir sprechen über weibliche Erfahrungen, Karrieren und Herausforderungen sowie darüber, wie wir Berufs- und Privatleben gut vereinbaren können. www.her-career.com/podcast

The herCAREER Voice podcast features people who care about a diverse and equitable workplace - from the herCAREER Expo live and from the herCAREER community. We talk about female experiences, careers and challenges, as well as how to achieve a good work-life balance. www.her-career.com/en/podcast

Projektleitung: Natascha Hoffner Redaktion: Julia Hägele Produktion: Bernhard Hiergeist

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00:00:00: Abir Haddad: Mit dem Mindset, mit dem wir diese Probleme kreiert haben, können wir diese Probleme auch nicht lösen. Und deswegen brauchen wir einen Mindset-Shift dahingehend, was Eigentum ist, was Konsum bedeutet, was wir überhaupt brauchen zum Leben und was Gerechtigkeit bedeutet.

00:00:16: *Musik*

00:00:25: Julia Hägele: Herzlich willkommen beim HerCareer Podcast. Hier kommen Menschen zu Wort, die sich für eine vielfältige und gerechte Arbeitswelt einsetzen. Von der HerCareer Expo Live und aus der HerCareer Community. Die Juristin Dr. Abir Haddad beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, die ein neues Rechtsdenken zur Abmilderung der Klimakatastrophe schaffen kann. Welche Chancen sieht sie für eine klimagerechte Zukunft? Darüber sprach sie mit der Journalistin Stefanie Hornung auf der HerCareer Expo.

00:00:53: *Musik*

00:01:08: Stefanie Hornung: Hallo zusammen. Mein Name ist Stefanie Hornung. Ich bin freie Journalistin, Autorin und NewPay-Initiatorin. Ich freue mich sehr, heute eine wahnsinnig spannende Frau interviewen zu dürfen, die als Juristin sich den Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz verschrieben hat und das versucht, auch mit modernen Technologien zu verknüpfen. Herzlich willkommen, Abir Haddad, Schön, dass du da bist.

00:01:39: Abir Haddad: Ddanke, dass ich hier sein darf.

00:01:40: Stefanie Hornung: Zuerst ein paar Worte zu ihr. Es ist gar nicht so einfach. Ich habe hier eine ganze Liste an Informationen zu ihr, weil sie schon so viel erlebt und gemacht hat. Sie hat vor kurzem das "Institute for Legal Transformation" gegründet. Sie erforscht und entwickelt rechtliche Rahmenbedingungen, um Klimagerechtigkeit zu fördern und ja, die Klimakatastrophe, die uns bevorsteht, abzumildern. Sie ist auch strategische Beraterin des UN Climate Change Klimarahmenkonvention der UN, d. Red. und hat unter anderem den Verband oder Verein Multikulturelle Juristinnen gegründet. Und "Capital" hat sie als "40 unter 40" ausgezeichnet, auch vor kurzem. Abir, du bezeichnest dich auch als "legal futurist". Das musst du uns jetzt mal erklären. Das ist ja ein Jobtitel, den es nicht so häufig gibt. Was machst du eigentlich als "legal futurist"?

00:02:36: Abir Haddad: Das Gute ist, den Begriff "legal futurist" gibt es so nicht. Deswegen kann ich machen, was ich will und dann fällt es auch drunter, was ein "legal futurist" macht und das ist das Geile daran, etwas Neues zu machen. Dann kann man selbst definieren und diesem Begriff überhaupt eine Bedeutung geben. Was ich da versuche zu machen, ist forsight methodology zu verbinden mit juristischer Arbeit und juristischer Methodik und vor allem der Rechtsvergleichung und damit sozusagen mich dem Thema zu widmen, dem Recht der Zukunft. Wie soll das Recht in unserer Zukunft aussehen? Wie soll das Recht auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren? Und wie kann das Recht gesellschaftliche Veränderungen gestalten? Dazu die zwei Themen Klimakatastrophe und exponential technologies, also die ganzen Technologien, die mit einer rasenden Geschwindigkeit auf uns zukommen. Wie Artificial Intelligence, Machine Learning, Blockchain-Technologie, Nano, Robotik das sind diese ganzen Themen, die mit einer exponentiellen Geschwindigkeit wachsen und unser Recht aber komplett linear ist und sehr, sehr langsam und eher reaktiv. Und langsam sehe ich da eine Problematik, dass wir dem Ganzen nicht mehr hinterherkommen können und sozusagen die gesellschaftliche Entwicklung ja schon fast aus den Händen verloren haben. Und das wird immer schwieriger. Und damit beschäftigen wir uns im Institute for Legal Transformation, haben dann dafür die Methodik "Seven Steps for Legal Transformation" entwickelt, mit der wir versuchen, mit den Juristen, aber auch dem privaten Sektor an Ideen und Lösungen zu arbeiten. Und dazu berate ich auch das UN-Klimasekretariat.

00:04:11: Stefanie Hornung: Ja, du hast Jura studiert in Tübingen, du hast deine Promotion gemacht, in Bonn mit summa cum laude auch abgeschlossen. Bist du denn jetzt heute auch wirklich so juristisch tätig? Gib uns doch mal einen Einblick. Wie läuft es zum Beispiel, wenn du jetzt das UN-Klimasekretariat berätst? Was sind da genau deine Aufgaben? Wie kommst du da ins Spiel?

00:04:33: Abir Haddad: Ich habe ja in Köln promoviert und da unterrichte ich auch noch. Also an der juristischen Fakultät bin ich Dozentin für ganz normal Jurastudierende, während Schwerpunktbereich fürs Examen. Das heißt so ganz klassisch Jura oder klassisch Recht, nationales geschriebenes Recht mache ich tatsächlich noch. Also so mit einem Bein, mit dem anderen Bein, wenn ich sozusagen in meiner Legal-Futurist-Tätigkeit bin, dann sind nicht mehr sozusagen die Normen, die ich gelernt habe wichtig, sondern nur die Methodik, die ich gelernt habe. Und dafür ist das juristische Studium wirklich sehr gut. Und dann meine Promotion in der Rechtsvergleichung und der Blick außerhalb des Tellerrands, also in andere Rechtskulturen. Also ich habe mich sehr viel mit anderen Rechtskulturen beschäftigt und dementsprechend das, was man daraus gewinnen konnte, kann ich sehr gut in diese Arbeit jetzt reinzubringen, um ganz kreativ out of the box Konzepte zu entwickeln, zu sehen, die für Juristen, die nur innerhalb sozusagen des BGB arbeiten oder des StGB gar nicht sichtbar sind. Und dafür war mein Studium und meine Promotion sehr, sehr gut, so dass für eine super gute Basis, dass ich auch gut wissenschaftlich arbeiten kann. Und dann kommt noch dieses kreative Mindset hinzu, mit dem forsight und dann boom - magic!

00:05:48: Stefanie Hornung: Ja, Wahnsinn. Also wenn ich recht verstanden habe, ist es aber so, dass ihr bei deinem Institut, das du gegründet hast, auch anschauen wollt: Inwiefern ist denn die Gesetzgebung, die wir ja schon haben, die vielleicht auch manchmal noch gar nicht hundertprozentig genutzt wird, du möchtest ja einen Schritt weitergehen mit deinem Institut und auch vielleicht hinterfragen, ob wir überhaupt schon die richtige Gesetzgebung haben, weil sich unsere Welt stark verändert. Es gibt Technologien, die exponentiell sich entwickeln. Inwiefern kann man denn auch aufbrechen, wie unsere Gesetzgebung gestaltet wird, was das Thema Klima betrifft?

00:06:26: Abir Haddad: Eins müssen wir uns klar machen: Das Recht ist ja nur eine Fiktion, auf die wir uns einigen. Wir studieren jahrelang etwas, was wir einfach selbst erfunden haben. Wir sagen: Das ist Recht, das sind die Normen, daran halten wir uns. Und dann setzt die Polizei das um und die Verwaltung steuert. Wenn man sich aus dieser Vogelperspektive so ein bisschen weg entfernt, das mag für Juristinnen etwas komisch klingen, aber wenn wir uns davon weg entfernen und sehen, das ist tatsächlich nur eine Fiktion, auf die wir uns geeinigt haben, dementsprechend entwickeln wir auch den Mut zu sagen: Das ist flexibel. bzw. wir können das ja auch anders gestalten, nur weil wir uns die Menschheit und vor allem müssen wir leider auch sagen eher eine patriarchale Ansicht oder sozusagen eine, die den Lead übernommen hat, diese Norm und diese Regeln festgesetzt hat, nach denen wir als Gesellschaft leben sollen, können wir uns als Gesellschaft auch auf was Neues einigen. Und dazu ist für mich die Rechtsvergleichung ein gutes Tool, dass wir lernen von anderen Rechtskulturen. Und es passiert hier jetzt schon. Also auf der EU-Ebene versuchen wir, von jedem EU-Land zu gucken, wie regulieren die das und wie können wir das dann sozusagen auf die EU-Ebene heben, damit das für alle EU-Länder zugänglich ist oder umsetzbar ist. Und das Gleiche können wir auf globaler Ebene tun, indem wir zum Beispiel auf Völker schauen, die Gesetzgebung haben, die besser oder nachhaltiger mit dem Klimawandel umgehen oder mit ihren eigenen Ressourcen der Natur eine andere Einstellung geben, den Flüssen eine andere Stellung geben. Klimagerechtigkeit anders gestalten in ihren Rechten. Und dafür gibt es sehr, sehr viele Beispiele, an die wir uns mit der Rechtsvergleichung nähern können. Der Wille muss halt da sein. Diesen Willen haben natürlich die Entscheidungsträger:innen in der Politik nicht und deswegen muss die Gesellschaft da auch einschreiten. Und für mich ist dann nicht nur sozusagen die wissenschaftliche Arbeit wichtig, sondern auch vielleicht die aktivistische Arbeit in dem Sinn, dass auch Menschen und Bürgerinnen und Bürger das erfahren und sozusagen sich wieder ermächtigen, dass sie diese Gesetze nicht einfach nur hinnehmen sollen. Ja, selbst große Konzerne können mit der Natur machen, was sie wollen und unsere Kinder müssen das dann austragen, sondern, wait a minute, ich kann das auch gestalten mit einem gewissen Druck.

00:08:29: Stefanie Hornung: Ja, ich verstehe das jetzt eben so ganzheitlich. Es gibt dann vielleicht nicht den einen Hebel, um so eine Maximalwirkung für das Klima herbeizurufen. Natürlich ist es wichtig, auch die Gesetzgebung zu nutzen. Es gibt ja jetzt erste Verfahren, auch zum Beispiel gegen große Unternehmen wie RWE und Volkswagen. Das ist das Eine. Aber du setzt dich auch sehr stark für ein neues Mindset ein.

00:08:53: Abir Haddad: Absolut.

00:08:54: Stefanie Hornung: Wie geht das denn? Also wie kriegt man ein neues Mindset in die Köpfe, was das Thema betrifft?

00:08:59: Abir Haddad: Also wenn du es weißt, sag mir Bescheid. Ich versuche das. Ich versuche tatsächlich daran zu arbeiten, weil ich davon überzeugt bin. Und das kommt eigentlich auch von dem Projekt bei der UN, bei dem ich tätig bin. Es ist so, dass wir davon ausgehen, dass wir tatsächlich einen kompletten Mindset-Shift brauchen, um noch diese Klimakrise nicht: aufhalten zu können, sondern das Schlimmste noch verhindern zu können, weil mit dem Mindset, mit dem wir diese Probleme kreiert haben, Stichwort Patriarchat, können wir diese Probleme auch nicht lösen, werden wir sie auch nicht lösen können. Und gerade mit dem Mindset, dass wir die Gesetze so hinnehmen, wie sie sind, weil sie da sind und nicht, weil wir sie eigentlich selbst gestalten können, werden wir auch keine Probleme lösen können. Und deswegen brauchen wir einen Mindset-Shift dahingehend, was Eigentum ist, was Konsum bedeutet, was wir überhaupt brauchen zum Leben und was Gerechtigkeit bedeutet. Und deswegen stelle ich eigentlich auch sehr viel in Frage, warum wir so leben, wie wir leben und warum unsere Gesetze bestimmte Werte manifestieren, auf die wir uns als Gesellschaft geeinigt haben. Aber sind diese Werte wirklich noch zeitgemäß? Wohin haben uns diese Werte gebracht? Das Mehr/Schneller/Besser? Sind eigentlich der totale fail, weil sie unsere Ressourcen uns unter dem Boden, also dem unter unseren eigenen Füßen gerissen haben. Also wir haben selbst sozusagen die Ressourcen ausgeschöpft, um etwas zu erschaffen. Oft auf the Surface, also auf der Oberfläche, was hochtechnologisiert ist und wir müssen da mit den Konsequenzen leben. Wollen wir nicht mit den Konsequenzen leben, müssen wir umdenken. Was ist Erfolg? Was ist Konsum? Was ist eine zivilisierte Gesellschaft und was nicht?

00:10:35: Stefanie Hornung: Und gerade diese Technologien versuchst du ja für Klimaziele auch zu nutzen. Wie kann man das denn machen?

00:10:41: Abir Haddad: Also die exponentiellen Technologien bergen sehr viele große, großartige Chancen, wenn wir sie nutzen, haben aber auch ein großes Risiko, weil wir nicht wissen, wie wir damit umgehen. Und vor allem begeben sich, sagen wir mal so, größere oder kleinere Unternehmen mittlerweile in immer größer werdenden Grauzonen, weil die Regulierung ja nicht hinterherkommt mit der Entwicklung der potenziellen Technologien. So würden wir das einigermaßen verstehen, versuchen zu erfassen und diese Technologien in ihren Anfang, sozusagen in den Babyschuhen erfassen zu können, nicht nur von außen zu regulieren, sondern mitzugestalten, diese mit ins Boot zu nehmen, könnten wir die Chancen viel besser für Lösungen für die Menschheit nutzen. Wie die Blockchain-Technologie, die natürlich ihre Schattenseiten hat, wie zum Beispiel den sehr hohen Stromverbrauch. Aber andererseits könnten wir sehr viele Bereiche damit lösen, wie Fair Trade, wie das Tracking von... mir fallen gerade die deutschen Begriffe nicht ein, sorry, also im Lieferkettengesetz, im Lieferkettenbereich könnten wir sehr viel mit Blockchain arbeiten und AI ganz anders auch nutzen. Also Machine Learning könnten wir von Anfang an nutzen, wenn wir uns dem Potenzial auch bewusst werden und auch wissen, wie wir AI trainieren. Von Anfang an, denn wenn wir das nicht tun, entwickelt sich das Ganze in eine Richtung, die nicht mehr einholbar ist für uns. Und wenn ich sage für uns, dann meine ich die Regulierung, weil irgendwann werden uns die Instrumente fehlen, um überhaupt etwas durchsetzen zu können. Wir können noch die tollsten Gesetze haben. No problem. Wir wissen aber nicht, wie wir sie umsetzen sollen, wie wir diejenigen dazu zwingen sollen, sozusagen diese Gesetze auch umzusetzen zum Wohle der Gesellschaft.

00:12:30: Stefanie Hornung: Was ich sehr spannend finde: Du reist auch zu indigenen Völkern und versuchst deren Wissen aufzugreifen, wie sie sich für Nachhaltigkeit schon immer eingesetzt haben. Gibt es da vielleicht auch die Möglichkeit, das irgendwie zusammenzubringen durch Technologie, deren Wissen wieder stärker in den Vordergrund zu rücken?

00:12:50: Abir Haddad: Was ich sehr gerne tue, ist sehr viel Zeit in der Wüste verbringen, sowohl mit mir selber als auch mit anderen. Also dass ich auch Menschen mitnehme in die Wüste. Angefangen hat es tatsächlich damit, dass ich versucht habe, die Lebensart, die Weisheit, die values, die Werte, die hinter den Regeln stecken, von indigenen Völkern zu erforschen, um zu schauen, wie können wir dieses Wissen, diese Werte für unser Rechtssystem wiederum nutzen und daraus Rahmenbedingungen entwickeln für das Recht, die uns auch hier im Westen nutzen können, um nachhaltiger mit der Natur umgehen zu können. Und das ist sehr, sehr lehrreich und davon können wir sehr viel mitnehmen. Ein Beispiel, wie man beides kombinieren kann, woran ich, wo wir gerade am Institut auch dran arbeiten, aber das ist ein etwas längerer Forschungsprojekt, und zwar gerade die Kombination von Blockchain und indigenem Wissen, und zwar zum Beispiel das indigene Volk, mit dem ich Zeit verbringe: die Beduinen sind Nomaden, die leben dezentral. So, wer sich jetzt ein bisschen mit Blockchainbegriffen auskennt, kennt den Begriff DAO. Decentralized Autonomous Organizations. Und die sind super nutzbar für Organisationen, aber auch für Menschen, die irgendwie zersplittert anfangen müssen zu leben wie Geflüchtete oder bestimmte Gruppen, die sich zersplittern müssen und diese dezentral zu organisieren. Davon können wir zum Beispiel von diesem indigenen Volk lernen, wie Menschen über Tausende von Jahren dezentral gelebt haben. Es gibt diese Konzepte von uns Menschen schon. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden und wir sind gerade dabei zu schauen: Wie können wir dieses jahrtausendealte Konzepte übersetzen, um es in die Form von DAO zu kriegen? Und dafür arbeiten wir zusammen mit Blockchain-Unternehmen in Dubai.

00:14:30: Stefanie Hornung: Wahnsinnig spannend. Es ist ein tolles Aufgabenfeld, was du hast. Es ist wahnsinnig vielfältig. Und jetzt interessiert hier bestimmt auf dieser Karrieremesse die Besucherinnen auch: wie kommt man da hin? Also es ist ja, wenn man Jura studiert und auch so einen tollen Abschluss macht wie du, trotzdem vielleicht nicht so ein Selbstläufer. Also Green Law, das ist so ein absolut neues Feld, würde ich mal sagen. Wie sahen denn deine ersten Schritte aus? Vielleicht auch gerade vor dem Background deiner persönlichen Vita? Die war ja, also du bist mit zehn Jahren als unbegleitetes Flüchtlingskind nach Österreich gekommen. Und sagen wir mal, dein Karriereweg war nicht unbedingt mit Rosen gebettet. Wir sahen deine ersten Schritte aus?

00:15:17: Abir Haddad: Alles andere als mit Rosen, ganz im Gegenteil, mit ganz, ganz viel Gewicht. Man muss sich vorstellen, dass wenn ein Kind dann sozusagen mit dem eigenen Körpergewicht auf die Welt kommt und dann Menschen wie ich haben dann sozusagen viel, viel mehr Kilos, Fesseln an den Füßen. Und deswegen ist jeder Schritt schwerer. Jeder Schritt erfordert viel mehr Kraft, weil man ja ganz hinten auch anfangen muss. Also wenn man nach Deutschland kommt, ohne Sprache, ohne Netzwerk, ohne eine Familie, die einen unterstützen kann. Viele wissen, wovon ich rede. Das kostet so viel mehr Kraft, jeder Schritt nach vorne. Aber ich kann euch sagen, dass jeder Schritt, der nach vorne getan wird, mit diesen Fesseln entwickelt man gewisse Muskeln, die einen dazu bringen, wenn man diese Fesseln einmal abgelegt hat, in einer Geschwindigkeit nach vorne zu laufen, wo die anderen nur noch staunen können. Und so ungefähr, glaube ich, ist es gerade bei mir, weil ich das selbst gar nicht so sehe. Aber die anderen so: Oh mein Gott, wie schaffst du das? Und es ist sozusagen nur die Kraft, die ich schon immer aufgebraucht habe, das zeigt sich jetzt irgendwie. Aber ich habe noch nie irgendetwas anders gemacht. Nur früher war es halt nie sichtbar, weil ich einfach 100 Meter hinter euch angefangen habe und weil ich einfach viel, viel schlechtere Voraussetzungen hatte. Und um die aufzuholen und an einem gewissen Punkt anzukommen, habe ich jetzt sozusagen eine Geschwindigkeit drauf. Ich kann einfach nicht langsamer. Und mit meiner Karriere, so genau kann ich das jetzt auch nicht sagen, weil ich eigentlich immer nur das gemacht habe, wonach mir gerade war. Also ich hab geschaut: wie fühlt sich das für mich an? Und ich wusste, darin bin ich dann am besten. Und was dann am Ende dabei rauskommt, ist mir egal, weil der Moment muss sich für mich auszahlen, alles andere ist egal und nur sozusagen aus der Freude, es heraus zu tun. Und dann haben sich die Dinge eigentlich in meinen Weg gelegt, ohne dass ich danach gefragt habe.

00:17:06: Stefanie Hornung: Das war so, dass dann die Leute einfach auf dich zukamen und gesagt haben: Auf dich haben wir gewartet?

00:17:16: Abir Haddad: Es war schon immer so, aber ich habe es nie geglaubt. Also egal was. Es kennen sehr viele Menschen das Impostor-Syndrom. Oh mein Gott, wie toll, was du machst! Aber ich habe es nie geglaubt, weil ich dachte, so toll ist es ja gar nicht. Und eigentlich, wisst ihr, kennt ihr mich ja gar nicht. Du bist ja nicht wirklich wie ich bin und ich tu ja eigentlich nur so und deswegen habe ich vieles auch nicht geglaubt, vieles abgelehnt und so, weil ich dachte so, nee, dann fliegt das ja auf, dass ich eigentlich gar nichts kann. Ja, jetzt komme ich eigentlich damit klar. Jetzt mache ich einfach, worauf ich Bock hab und und entwickle eigentlich das, was ich glaube, dass ich kann. Bzw ich kann es auch gut und deswegen mache ich es jetzt einfach und warte nicht darauf, dass mir irgendjemand sagt: Du kannst es oder du kannst es nicht.

00:17:55: Stefanie Hornung: Aber du versuchst ja wirklich ein dickes Brett zu bohren. Das ist eingangs sehr klar geworden. Da gibt es sicher auch mal frustrierende Momente. Wie gehst du dann damit um? Was hilft dir dann, vielleicht auch dann weiterzumachen und dranzubleiben und nicht aufzugeben?

00:18:12: Abir Haddad: Das Gute ist, weil wir jetzt gerade auf meine Lebensgeschichte zurückkamen, Frustration ist etwas, womit ich mein Leben lang gelebt habe. Also, ich bin sehr resilient. Du wirst halt von klein auf in der Schule irgendwie diskriminiert oder gemobbt oder bekommst schlechtere Noten, weil du dich äußerst, weil du die Sprache dann doch nicht so perfekt sprichst oder halt aus einem anderen Kulturkreis kommst. Deswegen: Diese Frustration hab ich schon immer erlebt und musste mir dann ein dickes Fell dementsprechend anziehen. Und weil ich das so über die Jahre gelernt habe, ist das jetzt für mich ganz ganz normal und es ist nichts, was ich jetzt lernen muss. Sozusagen Resilienz und mit Ablehnung - zack - zu kommen. Oder wenn die Leute mich für bescheuert halten, das bin ich ja gewöhnt und das ist mittlerweile meine größte Stärke, weil ich das sehr gewöhnt bin, sind Frauen sowieso gewöhnt, dass sie doppelt arbeiten müssen. Dann aber halt noch Frau mit Migrationshintergrund und aus so einem sozialen Umfeld erst recht. Und diese Resilienz und diese sozusagen diese Muskeln, die ich über die Zeit aufgebaut habe, lassen mich dazu: ja okay, so what? Das Geile ist: Ich glaube, wenn eine Tür zugeht, eröffnen sich dafür andere Fenster, und dann steige ich durchs Fenster. Und es ist wirklich tatsächlich immer noch so, okay, das klappt nicht oder jemand reagiert nicht so, wie ich will. Okay, no problem. Du bist nur noch noch nicht so weit, das Potenzial zu erkennen derzeit. Es gibt andere, die das sehen und das hatte ich. Es Gab sehr viele Menschen, vor allem Professoren, männliche Professoren, die mein Potenzial nicht gesehen haben, dafür andere aber, und die haben mich dann wiederum gefördert. Und diese Leute zu suchen ist super, super wichtig. Und das mache ich dann auch. Und dann schlängelt man sich seinen Weg so durch.

00:19:54: Stefanie Hornung: Ja, da sind wir beim Thema Mentorinnen und du hast auch eine sehr berühmte Mentorin. Und seit kurzem verrätst du auch, wer das ist, Herta Däubler-Gmelin. Du hast es aber lange eher so, hast du mir erzählt, unter dem Deckel gehalten, wer deine Mentorin ist. Warum bist du damit nicht so nach außen gegangen?

00:20:15: Abir Haddad: Ja, genau. Also, sie hat mich begleitet. Seit meinem Studium. Mittlerweile seit über elf Jahren. Ich habe nie gesagt, wer meine Mentorin ist, weil sie so einen berühmten Namen hat. Weil sie Justizministerin war. Oh. Also, die Frau gibt sich mit dir ab? Dann musst du ja toll sein! Und das wollte ich verhindern. Ich wollte nicht ihren Namen nutzen. Ich wollte nicht ihr Netzwerk nutzen. Ich wollte nicht sie in einer anderen Art und Weise nutzen, außer ihre Zeit, ihre Aufmerksamkeit und ihre Weisheiten. Es war immer so, wir saßen bei ihr im Wohnzimmer auf ihrer blauen Couch. Ich habe geheult und sie hat mir gesagt, mehr oder weniger: beruhig dich, mach das. Beruhig dich, Macht das. Ist okay. Du darfst heulen, aber mach dann das. Und das habe ich gebraucht. Ihr Netzwerk zu nutzen, ihren Namen zu nutzen, hätte sich für mich total falsch angefühlt und hätte diese super persönliche, sehr intime Beziehung für mich gestört. Und jetzt habe ich aber das Gefühl, jetzt werde ich auf Interviews eingeladen und whatever. Jetzt habe ich das Gefühl, okay, jetzt kann ich sagen, dass sie dazu beigetragen hat, dass ich dahin gekommen bin. Ich wollte sie aber nicht dazu nutzen, sondern sie mit ihrer Empathie, mit ihrer Liebe zu mir hat sie dazu beigetragen, dass ich diese Stärke auch entwickeln konnte, um genau hier zu sein.

00:21:29: Stefanie Hornung: Also blaue Couch hört sich so an, als wärst du bei einer Psychologin gewesen.

00:21:35: Abir Haddad: Wenn du sie fragst, da würde sie sagen Ja.

00:21:38: Stefanie Hornung: Ja, aber was denkst du, welche Rolle sollte deine Mentorin spielen? Was ist eine Mentorin? Was gibt sie dir, außer vielleicht so diese emotionale Stabilität?

00:21:48: Abir Haddad: Ja, also die Beziehung mit ihr ist wirklich sehr, sehr speziell. Grundsätzlich würde ich aber sagen, dass Mentorinnen und Mentoren dafür gut sind, Wege aufzuzeigen, wo man sich selbst noch nicht traut, weil sie es gegangen sind. Also Mentorin und Mentor sind gut, wenn man sich mit ihnen identifizieren kann, sagen kann: Ah, du bist den Weg gegangen, den ich noch gehen will. Du bist diese Schritte gegangen und ich kann gucken, okay, passt dieser Schritt? Für mich passt dieser Schritt, nicht für mich. Das heißt nicht, dass alles, was Sie sagen, Gold ist, und alles, was Sie sagen, müsst ihr umsetzen. Sie hat auch gesagt: Du musst nicht alles machen, was ich sage, aber die Diskussion mit mir, wie sich das damals für mich angefühlt hat, wie ich jetzt das in der Retrospektive sehe, ist sehr, sehr hilfreich für mein Ventil und auch für mich als Mentee von meinen Mentoren. Also ich kann's jedem und jeder von euch ans Herz legen. Sucht euch Mentorinnen oder Mentoren, die ihr fragen könnt und Mentorinnen und Mentoren oder Menschen, die sozusagen in der Karriereleiter weiter sind als ihr werden sich immer freuen, wenn ihr fragt. Es gibt niemanden, der sagt nur: Sorry, ich habe keine Zeit für dich und eigentlich will ich mein Wissen und meine meinen struggle nicht mit dir teilen, damit du weiter kommst. Das gibt es nicht. Also traut euch. Fragt ruhig, wenn ihr jemanden toll findet. Das ist besser als jede Therapie.

00:23:05: Stefanie Hornung: Also dass du als Mentorin auch aktiv bist, machst auch Workshops. Du bist auch als Beraterin aktiv, das hast du auch nicht unbedingt so publik gemacht. Warum gehst du damit nicht so offensiv auch um? Mit deinen Weiterbildungstätigkeiten, sage ich jetzt mal im weitesten Sinne.

00:23:26: Abir Haddad: Ich weiß nicht, wie viele Juristinnen hier sind. Die wissen, dass unser Bereich sehr, sehr konservativ ist, unser Bereich so ein bisschen geprägt ist von so und so muss man sein, so muss und so muss man sich anziehen. Und wenn man das nicht tut, dann ist man unprofessionell und dann ist es eine gewisse Inkompetenz schnell im Raum. Deswegen: Ich habe sehr früh sowohl im Studium als auch dann während meiner Promotion sehr viel Zeit damit verbracht, Workshops zu entwickeln, auch Workshops zu geben, Coachings zu machen, einfach nur aus purer Freude, weil ich das kann und weil ich das, was ich gelernt habe, für mich gerne mit anderen geteilt habe. Und dann wurde ich immer gefragt: Kannst du das mal in einem größeren Setting erzählen? Und daraus sind immer Workshops entstanden wie über Zeitmanagement, weil ich einen eigenen Kalender für mich entwickelt habe, der super funktioniert. Deswegen kann ich so viel gleichzeitig machen, weil ich einfach einen supergeilen Kalender habe und dann so eine Zeitphilosophie. Und die habe ich dann in einen Workshop gegossen, was ich auch gebe. Oder Netzwerken. Ich bin eine super Netzwerkerin und habe angefangen zu Wissenschaftlerinnen und zu Frauen jetzt mittlerweile auch für männliche Wissenschaftler die Netzwerkworkshops zu geben, aber habe das sehr lange Zeit einfach geheim gehalten. Warum? Weil Du kannst doch nicht kompetente Juristin sein mit Doktor und Wissenschaftlerin und gleichzeitig so ein Feministenzeug machen. So, und dann irgendwas mit Zeitmanagement und dann so "Finde dich selbst", das geht nicht. Passt nicht.

00:24:49: Stefanie Hornung: Es gilt nicht als professionell genug, sozusagen.

00:24:49: Abir Haddad: Es ist nicht professionell und deswegen musste ich das aus meinem Mindset damals komplett trennen, deswegen durfte sehr vieles auch von mir nicht ins Internet kommen und jetzt mache ich das erst recht. Also jetzt definiere ich nicht neu, was eine Juristin im Sinne von Soft-Skills-Trainings und Wüstenerfahrung und Retreats macht und gleichzeitig Wissenschaft betreibt, sondern ich definiere ein komplett neues Feld von "Legal Futurism". So, ja, i took it serious.

00:25:14: Stefanie Hornung: Wahnsinn. Ich könnte mir vorstellen, dass es hier die eine oder andere Frage im Publikum gibt. Da geht schon eine Hand nach oben.

00:25:23: Zuhörerin: Tatsächlich ein bisschen was anderes. Du bist eine sehr, sehr attraktive Frau. Mich würde interessieren auf deinem Karriereweg, inwiefern dir das geholfen oder teilweise auch eher geschadet hat.

00:25:35: Abir Haddad: Supergute Frage, weil ich laufe ja auch recht provokativ rum. Das ist eine jordanische Tracht, weil ich mich auch sehr gerne traditionell anziehe. Es ist aus meinen Reisen, ich habe aus jeder Kultur sozusagen ein traditionelles Kleid und das ziehe ich dann auch immer an. Ja, also es gibt zwei Abschnitte in meinem Leben: Mein ganzes Studium, die Promotion. Sehr lange Zeit habe ich nie ansatzweise meine Attraktivität gezeigt. Logo, weil ich genau gedacht habe, ich will nicht daran gemessen werden. Ich habe nicht meine Weiblichkeit so gelebt, wie ich das jetzt gerade total selbstbewusst tue. Und jetzt stehe ich so absolut dazu, ja. Ich sage jetzt nicht, dass ich das damals nicht tat, aber aus der Angst heraus auch wollte ich das nicht. Jetzt ist es so zweischneidig. Also zwar natürlich, ich weiß, ich wirke auch sympathisch und Menschen, die sympathisch wirken, schreibt man einfach bessere Attribute zu. Kannst du nicht leugnen. Ja, also ich weiß es, weil es früher anders war, ganz anders. Ich sehe einen Riesenunterschied, wie ich auch behandelt werde, weil ich so mittlerweile sympathisch wirke, blablabla. Und weil ich es früher so komplett gemieden hab, war es ganz anders und wurde sehr viel mehr abgelehnt. Also da muss ich ganz fair sein. Eine andere Sache ist aber: Gerade da werde ich dann in rein männlichen Gruppen schnell in die sozusagen die einzige Frauenrolle dann gedrängt. Also, again, jetzt in der Techbranche oder auch unter bestimmten Bereichen der Juristen, wie zum Beispiel: Ich bin auf einer Konferenz, wir waren ein oder zwei andere Frauen da, auf der ganzen Tagung, und dann kommt einer, ich hatte irgendwo was Schlaues gesagt, dann kommt er und will mich fragen. Dann stand ein Kollege daneben, der was Ähnliches macht wie ich. Also in der Forschung. Wir haben uns gerade unterhalten. Dann kommt der Dritte, stellt sich ihm vor, er stellt sich vor und dann fragt er mich, und dann sagt der Typ so: Das ist meine Frau. Holy crap! Aber so werde ich dann in gewisse Ecken geschoben, so: Wisse, wo du bist. Und das erlebe ich natürlich sehr oft. Aber hier gilt: Geht eine Tür zu, findet sich ein anderes Fenster. Ich habe diese Gewissheit und deswegen kann ich mich da durch navigieren. Als Frau wirst du da auch einfach grundsätzlich nicht eingeladen. Also ich muss mich sehr oft selber einladen, weil die Leute vergessen mich einfach, obwohl ich fucking Expertise habe, hier bescheinigt. Aber nein, ich werde nicht eingeladen, weil ich werde vergessen. Und da bin ich jetzt auch mittlerweile so: Es bringt nichts, ob du attraktiv bist oder nicht attraktiv. Eingeladen wirst du sowieso nicht. Again, ich kenne beides. Und mittlerweile also lebe ich mich selbst so, wie ich bin, lade mich aber auch selbst ein.

00:28:11: *Musik*

00:28:25: Julia Hägele: Wir hoffen, das Gespräch hat dir gefallen. Wenn du mehr über HerCareer erfahren willst, besuche uns im Netz unterher-career.com und kommt zur nächsten HerCareer Expo nach München. Abonniere gerne unsere Newsletter mit spannenden Interviews, Veranstaltungstipps, Mentorinnen und vielem mehr unter her-career.com/newsletter. Wir freuen uns, wenn du Teil unseres Netzwerks wirst.

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