Alles beginnt im Kopf: Mit dem Denken von morgen die Probleme von heute lösen
Shownotes
An solchen Tagen, wenn sich die Problemfelder mal wieder im Kopf im Kreis drehen, wünscht man sich ja manchmal, einfach mal aufzuräumen. Schließlich könnte man sich täglich vor der Welt geschlagen geben und das Chaos hört scheinbar niemals auf. Unsere heutige Speakerin aber fordert: Um die Welt zu ändern, müssen wir zuerst unser Denken ändern. Im Gespräch mit Susanne Klingner erklärt sie, wie.
Themen: Gehirnforschung | Medienhygiene | Kognitionswissenschaft | Achtsamkeit | Constructive Journalism
Angaben zur Referentin: Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln. 2016 gründete sie das Online-Magazin „Perspective Daily“ für Konstruktiven Journalismus mit. Nach ihrem ersten Buch „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“ (2019) präsentiert die Kognitions- und Neurowissenschaftlerin Maren Urner in ihrem neuen Werk „Raus aus der ewigen Dauerkrise“ Methoden, die uns helfen, persönliche und gesellschaftliche Krisen zu meistern, indem wir unsere Denkmuster ändern. Denn: Alles beginnt in unserem Kopf!
Über den Podcast der herCAREER: Sie sind hier richtig, wenn Sie diverse und vor allem weibliche Perspektiven auf arbeitsmarkpolitische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Themen hören wollen. Lernen Sie dabei von Role Models, Expert:innen und Insidern und nehmen Sie wertvolle Anregungen für Ihre eigene Karriereplanung mit. Mit herCAREER Voice fangen wir vielfältige Sichtweisen ebenso wie ganz persönliche Einblicke und Erfahrungen spannender Frauen ein. Besuchen Sie uns auf her-CAREER.com und lernen Sie uns besser kennen.
herCAREER Voice ist eine Produktion von hauseins für herCAREER – die Plattform für die weibliche Karriere. Projektleitung: Natascha Hoffner Redaktion und Produktion: Miku Sophie Kühmel Sprecherin: Susanne Klingner
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herCareer Voice Live mit Prof. Dr. Maren Urner
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00: 00:09-2 Moderation: Herzlich willkommen zum herCareer Voice Podcast. Sie sind hier richtig, wenn Sie diverse und vor allem weibliche Perspektiven auf arbeitsmarktpolitische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Themen hören wollen. Lernen Sie dabei von Rolemodels, ExpertInnen und Insidern und nehmen Sie wertvolle Anregungen für Ihre eigene Karriereplanung mit. Mit herCareer Voice fangen wir vielfältige Sichtweisen ebenso wie ganz persönliche Einblicke und Erfahrungen spannender Frauen ein. Von der herCareer Expo live und aus der herCareer Community.
00: 00:41-1 Susanne Klingner: An solchen Tagen, wenn sich die Problemfelder mal wieder im Kopf im Kreis drehen, wünscht man sich ja manchmal, einfach mal aufzuräumen. Schließlich könnte man sich täglich vor der Welt geschlagen geben und das Chaos hört scheinbar niemals auf. Unsere heutige Speakerin aber fordert, um die Welt zu ändern, müssen wir zuerst unser Denken ändern. Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln. 2016 gründete sie das Onlinemagazin Perspective Daily für konstruktiven Journalismus mit. Nach ihrem ersten Buch „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“ 2019 präsentiert die Kognitions- und Neurowissenschaftlerin Maren Urner in ihrem neuen Werk „Raus aus der ewigen Dauerkrise“ Methoden, die uns helfen, persönliche und gesellschaftliche Krisen zu meistern, indem wir unsere Denkmuster ändern. Denn alles beginnt in unserem Kopf.
00: 01:39-4 *Musik*
00: 01:47-9 Susanne Klingner: Erst mal herzlich willkommen Maren Urner.
00: 01:49-9 Maren Urner: Ja, schön, dass ich hier sein darf.
00: 01:51-6 Susanne Klingner: Wir reden heute über dein Buch „Raus aus der ewigen Dauerkrise - mit dem Denken von Morgen die Probleme von heute lösen“. Und ich habe auch schon dein Buch davor gelesen und das Buch davor hieß „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“. Ich habe ein bisschen das Gefühl, Chaos ist dein Thema.
00: 02:08-8 Maren Urner: Ja und nein. Also die Liebe zum Chaos vielleicht bei den Menschen zu stimulieren. Also auch anknüpfen, auch wenn jetzt vielleicht nicht alle eben schon da waren, aber da ging es ja so ein bisschen um Grautöne, also weg von den Dichotomien, von schwarz versus weiß, Mann versus Frau, gut versus schlecht. Hinzugehen und Neugier und Mut zu schaffen für alles, was dazwischen liegt. Weil wenn wir uns frei machen und ehrlich machen, dann merken wir, es gibt diese Dichotomien nicht. Und wir werden ja hoffentlich gleich auch ein bisschen politisch. Keine Angst haben, also nicht parteipolitisch, sondern politisch im Sinne von, dass uns alle jeden Tag in jeder Entscheidung betrifft. Und da wird ja auch so gerne diese Dichotomie zum Beispiel zwischen Ökologie und Ökonomie aufgemacht. Und das ist halt totaler Quatsch. Also das Chaos dazwischen ist eigentlich das, was das Leben lebenswert macht und darüber müssen wir sprechen. Und vielleicht schon direkt zum Hirn auch ein bisschen zu kommen, unser Hirn liebt natürlich nicht das Chaos, sondern die Klarheit, die Sicherheit, die Kontrolle, das ist das, was es die ganze Zeit versucht zu tun. Also wenn man in einem Satz, wenn ihr/Sie in einem Satz zusammenfassen wollt und mit so ein bisschen Kneipenwissen, was macht so ein Gehirn eigentlich, mal aufwarten wollt, das trifft Vorhersagen. Also es trifft Vorhersagen, wenn ich zum Beispiel meine Hand ausstrecke und diese Glas, nicht Glas, sollte eine Glasflasche sein, ist leider eine Plastikflasche, um hier mal direkt ein bisschen Kritik an der Nachhaltigkeit zu üben, zu greifen, dann trifft es eine Vorhersage. Und wenn ich dir zuhöre, dann treffe ich die ganze Zeit Vorhersagen darüber, was du vielleicht als nächstes sagst und fange schon an, meine Antwort irgendwie zu planen. Und genauso aber auch im großen Stil treffen wir Vorhersagen darüber, wie wir morgen arbeiten, wann wir aufstehen und so weiter. Und deshalb war Corona für das Gehirn so gemein oder ist so gemein, weil diese Vorhersagen andauernd ins Leere gelaufen sind. Wir sind morgens aufgestanden und dachten, tja keine Ahnung, also vielleicht läuft das heute irgendwie digital oder auch gar nicht oder mal gucken und wo die Kinder hin sollen und keine Ahnung was. Und deshalb versuche ich trotzdem, oder vielleicht nicht deshalb oder gerade deswegen versuche ich, dafür zu sensibilisieren, wenn ich für dieses Chaos motiviere, sich zu engagieren und sich zu interessieren, seid nachsichtig mit eurem eigenen Gehirn. Also das ist so die erste, ich spreche immer gern von drei N, eins der N ist Nachsicht mit sich selber, wenn das dann sich wieder nach dieser Sicherheit sehnt und sagt, ach nein, das ist mir doch jetzt alles gerade ein bisschen zu bunt und zu viel und ich will doch die einfachen Kategorien. Das ist das Gehirn, was dann sagt, ach Sicherheit. Aber auf der anderen Seite findet es eben auch genauso toll, neugierig zu sein. Und da sind wir dann beim Politischen, wir brauchen Strukturen, die genau das motivieren.
00: 04:44-6 Susanne Klingner: Ich will ganz kurz aber noch bei dir bleiben tatsächlich. Weil du redest wirklich so sehr begeistert über das Chaos und Leute zu motivieren, das anzunehmen auf eine Art. War das für dich auch der Grund, Neurowissenschaftlerin zu werden, also dass du auch diesen Widerspruch gesehen hast zwischen, was will offensichtlich mein Reflex und was finde ich aber eigentlich cooler?
00: 05:05-1 Maren Urner: Ja, ich muss mich mal outen, mein erstes Praktikum in der neunten Klasse bei der Lokalzeitung gemacht, also das Schreiben und das Journalistische war immer was, was mich seit der Grundschule eigentlich bewegt hat und was ich irgendwie verfolgt habe und habe dann da angefangen zu schreiben. Und habe aber gleichzeitig auch immer gemerkt, Thema Chaos, dass mich irgendwie fasziniert, was in diesen Köpfen von Menschen und mir inklusive vorgeht. Und Stichwort Chaos, warum da so viel paradox ist. Also mich hat tatsächlich sehr viel verwundert, weil wir auf der einen Seite den Kindern irgendwie beibringen, gute Menschen zu sein und sich gut zu verhalten. Und dann habe ich den ganzen Mist und Unfug in der Welt gesehen oder nicht gesehen, aber davon gehört über die Medien und so weiter und habe gedacht, Moment mal, wie kann das denn sein, dass wir auf der einen Seite das eine sagen und predigen in vielerlei Hinsicht, auch in den Kirchen dieser Welt und auf der anderen Seite aber irgendwie uns dann häufig so anders verhalten. Also liegt das dann an uns? Liegt das an den Strukturen, die wir geschaffen haben? Wer oder was gar nicht mal ist da schuld, sondern wie kommt das so zustande? Und dann habe ich lange überlegt, ob ich eher in die Psychologie oder eher in die Medizin gehen soll und habe gemerkt, beides reicht mir nicht, also da fehlt irgendwie so die Schnittstelle, weil die Medizin, ohne jetzt Medizinerinnen hier zu nahe treten zu wollen, ist natürlich sehr viel auswendig lernen und sehr viel so Wissen reproduzieren und in der Psychologie, gerade zu der Zeit, als ich studiert habe in Deutschland, war das noch sehr viel oder sehr wenig Naturwissenschaft. Und dann habe ich glücklicherweise in so einer Nacht- und Nebelrecherche im Internet den Studiengang Kognitionswissenschaften gefunden oder Cognitive Science in Osnabrück, der damals der einzige war in Deutschland, der das angeboten hat oder die einzige Uni, die das angeboten hat, mittlerweile gibt es das auch an anderen Unis. Und da habe ich genau dieses Chaos, also von äußerer Sicht gesehen, weil einfach das Ganze von künstlicher, natürlicher Intelligenz, von analytischer Philosophie über Mathe musste man da machen. Und alle haben so gesagt, was machst du da eigentlich? Und da habe ich gesagt, habe dann mehr und mehr gemerkt natürlich, das gehört alles zusammen, weil es geht eigentlich immer darum, Muster zu erkennen und das ist ja auch, Muster im Chaos zu suchen, Verbindungen zu sehen. Haben wir eben im Vorgespräch schon ein bisschen drüber gesprochen, Verbindungen zu sehen und zu gucken, wenn Menschen zum Beispiel unterschiedliche Wörter benutzen, vielleicht meinen sie ja das gleiche oder wenn sie gleiche Wörter benutzen, vielleicht meinen sie was ganz anderes. Und so ist dann meine Faszination weiter gewachsen.
00: 07:35-4 Susanne Klingner: Und wenn du dir eben den Zustand der Welt anguckst, was du ja auch in deinen Büchern machst, und siehst, okay da passiert irgendwas bei uns, wie erforscht man das genau? Also wie sieht so deine erste Forschungsfrage aus, was machst du dann da? Und wie kommt dann da ein Ergebnis hinten raus?
00: 07:52-0 Maren Urner: Ja, also ich habe dann sehr schnell gemerkt, dass mich die natürliche Intelligenz mehr reizt als die künstliche. Oder was heißt mehr reizt, das ist das, wo ich drin forschen wollte. Ich finde auch die künstliche spannend, aber die künstliche ist natürlich immer und ich habe sie eben hier schon rumlaufen sehen, aber hier wird es heute ja auch noch um künstliche Intelligenz gehen, deshalb greife ich da jetzt gar nicht mehr so viel vorweg, aber da ist natürlich immer das menschengemachte dahinter. Und die natürliche Intelligenz, sprich das Chaos im Kopf, das zu erforschen geht natürlich auf unterschiedlichste Arten und Weisen, also entweder über das Verhalten, dann haben wir nur so ein Intermediär, also wir gucken gar nicht, was passiert da im Körper oder im Gehirn direkt, sondern wir schauen erst mal, was passiert im Verhalten. Und das wird häufig so ein bisschen klein geredet, aber das ist schon total spannend und wichtig. Man braucht nicht immer, ich sage immer, die bunten Gehirnbilder, um Menschen zu verstehen, man kann schon ganz viel am Verhalten auch lernen. Aber natürlich wollte ich dann auch wissen, was passiert da in diesem Organ, aus diesen ungefähr 86 Milliarden Zellen, noch so ein bisschen interessantes Wissen vielleicht hier aus der Neuroanatomie mitgegeben. Was passiert da eigentlich und können wir das messen, genau wie du fragst. Und dann habe ich angefangen, EEG-Studien zu machen, also wo man diese Elektroden auf dem Kopf hat mit so ein bisschen Gel, da muss man danach die Haare waschen, das ist ziemlich unangenehm. Also was heißt unangenehm, es ist so ein bisschen eine schmierige Angelegenheit. Und dann, was mich am meisten aber fasziniert hat, waren tatsächlich die MRT-Studien, die ich durchgeführt habe, also wo man Menschen in diese laute Röhre steckt und dann schaut, wie das Gehirn aufgebaut ist. Also es gibt zwei Komponenten da, das Anatomische und auf der anderen Seite das Funktionale. Also was passiert, wenn wir jetzt gucken würden, was passiert bei dir, bei Ihnen, bei euch gerade im Gehirn, das können wir mittlerweile messen. Und das ist noch gar nicht so lange her, dass wir das gar nicht konnten, da konnten wir nur nach dem Verhalten oder Puls und Pupillenweite und so, das waren die ersten Studien, wo man dann geschaut hat, was geht in so einem Menschen eigentlich gerade vor, Herzrate und solche Dinge. Aber um zum MRT zurückzukommen, da können wir dann tatsächlich schauen, wenn wir zum Beispiel verschiedene Dinge tun oder verschiedene Dinge wahrnehmen, was passiert dabei im Gehirn. Und, das was ich natürlich am spannendsten finde, wie unterscheidet sich das von Mensch zu Mensch. Also die interindividuellen Unterschiede.
00: 10:01-5 Susanne Klingner: Und also wenn jetzt hier zum Beispiel die Dauerkrise, das ist ja so das Schlagwort des Buches, was genau empfindet unser Gehirn denn momentan so als Dauerkrise, welche Faktoren machen das Gehirn nervös?
00: 10:17-3 Maren Urner: Ja. Also ich muss ganz kurz einmal noch philosophisch werden, weil du sagst, empfindet das Gehirn, das ist ja so eine ganz spannende Frage. Also gar nicht als Korrektur gemeint, als spannende Frage in die Runde auch. Also ich habe ja eben gesagt, Nachsicht mit dem eigenen Gehirn üben. Und dann gibt es natürlich in der Philosophie diese spannende, also in der Philosophie des Geistes, wie dann dieser Subbereich hießt, eine spannende Diskussion, wer beobachtet da eigentlich wen? Also ich kann ja nicht mein eigenes Gehirn beobachten, weil wer ist das dann? Also ich habe ja kein Metagehirn. Und da wird viel drüber diskutiert, inwieweit es natürlich überhaupt möglich ist, sich selbst zu verstehen oder die eigenen Gefühle oder was du sagst, Empfindungen. Also was empfindet das Gehirn, naja, das bin natürlich ich. Aber ich bin natürlich nicht nur mein Gehirn. Einige Neurowissenschaftlerinnen würden vielleicht sagen, ja, also ich würde sagen, schon noch ein bisschen mehr, da gehört noch mal so ein Körper und alles was da mit dazugehört dabei. Aber um zu der Frage ein bisschen konkret. Also das nur als Einladung an alle, da auch mal so ein bisschen zu gucken, wer fühlt da eigentlich gerade wo. Zurückzukommen, was macht diese Dauerkrise mit uns. Also Krise bedeutet, vielleicht da ganz kurz auch noch mal sprachlich, ursprünglich eigentlich Wendepunkt. Aber die Dauerkrise, wie wir sie jetzt häufig ja erleben bzw. kommunizieren und dadurch dann erleben, ist natürlich dieses konstante Überfordertsein, also konstant Probleme, Krisen, Skandale, Katastrophen in der Welt. Und die erste Reaktion, die unser Gehirn auf solche Dinge hat, ist fight or flight oder manchmal auch noch freeze. Also kämpfen, flüchten oder einfrieren, im Sinne von Starre, also Igel die machen das sehr gut. Die haben aber auch einen schützenden, also zumindest gegen viele Sachen, dann so ein schützendes, ich weiß gar nicht wie das heißt, Nadelkleid. Und bei uns ist es hauptsächlich fight oder flight. Also wir kämpfen oder wir flüchten. Und das ist erst mal evolutionsbiologisch natürlich super sinnvoll. Wenn das, ich sage immer, Säbelzahntiger oder Mammut vor der Höhle standen, dann mussten wir sehr schnell entscheiden oder unsere Vorfahren, kämpfen wir jetzt oder flüchten wir? Jetzt können wir uns aber auch überlegen, was bedeutet das, wenn wir die Dauerkrise, die es ja eigentlich nicht geben kann, wenn es ein Wendepunkt ist, weil dann drehen wir uns die ganze Zeit im Kreis, dann wird uns irgendwann schlecht, aber die Dauerkrise, wie sie uns medial, und das ist ja ein großes Thema von mir, wie du eben auch schon angesprochen hast, vermittelt wird, sorgt dann für Dauerstress. Das heißt, wir sind in so einem chronischen Zustand, wo wir denken, kämpfen, flüchten oder einfrieren, kämpfen, flüchten oder einfrieren. Und wir wissen auch alle, spätestens, ich sage mal, seitdem es diesen Begriff der Zivilisationskrankheiten gibt, was chronischer Stress mit uns machen kann. Das kann uns eben krank machen auf ganz vielen Ebenen. Also sowohl auf mentaler Ebene, Stichwort so was wie Depressionen und Co fördern, aber auch auf der Ebene Herzkreislaufkrankheiten und alle diese Dinge. So und das kann dann natürlich wieder so eine Schutzreaktion hervorrufen, dass wir sagen, Moment mal, das ist mir jetzt alles ein bisschen zu viel Dauerkrise und ich sage das gar nicht böse und auch nicht zynisch, sondern eher so ein bisschen Thema Leichtigkeit, was ja vorher auch hier Thema war, dann kochen wir halt Marmelade ein und konzentrieren uns auf unser privates Leben. Aber das hilft natürlich nicht unserem gesellschaftlichen Zusammenleben. Und da ist mein Appell, müssen wir einfach eine bessere Balance finden und mehr Selbstwirksamkeit fördern. Und das können wir eben nicht, indem wir nur an das Negative appellieren, sondern indem wir uns alle immer sagen, was kann ich eigentlich beitragen oder fragen und dann darüber sprechen.
00: 13:44-1 Susanne Klingner: Was du beschrieben hast, eben diese ganzen negativen Nachrichten, die so jeden Tag auf uns einstürmen, das ist natürlich erst mal was, wenn ich jetzt nicht selber Journalistin oder Journalist bin, nicht gut beeinflussen kann. Und dann ist halt die einzige Reaktion, die man bringen kann, ich konsumiere gar keine Nachrichten mehr und mache Marmelade. Wir kommen gleich noch zu Perspective Daily, auf jeden Fall.
00: 14:02-2 Maren Urner: Ich will keine Schleichwerbung machen, es gibt noch mehr als das.
00: 14:05-8 Susanne Klingner: Nein, das Konzept ist einfach sehr spannend, deswegen reden wir auf jeden Fall noch drüber. Aber es würde ja schon helfen und da ist die Frage, kann man sein Gehirn auch so ein bisschen austricksen, wenn man sich dessen bewusst wäre? Weil das Ding ist ja, wir sind uns ja nicht dessen bewusst, dass uns das so in Stress versetzt oder SocialMedia ist ja auch so ein Beispiel, dass uns das eigentlich irre stresst, obwohl wir denken, ich entspanne jetzt mal eine halbe Stunde bei Instagram oder YouTube oder was weiß ich. Aber eben wir gar nicht merken, wie die ganze Zeit Adrenalin ausgeschüttet wird und wir krank werden.
00: 14:34-7 Maren Urner: Was da passiert.
00: 14:37-3 Susanne Klingner: Kann man das denn so ein bisschen austricksen, dass man sich da schon mal so ein bisschen ermächtigen kann?
00: 14:44-6 Maren Urner: Ich würde es gar nicht austricksen nennen, sondern auch da wieder so dieses, einladen, Nachsicht mit dem eigenen Gehirn und sich in die Lage des Gehirns versetzen. Wie gesagt, aus verschiedenen Gründen ist das schwierig, weil wer macht das dann, wenn nicht auch mein Gehirn? Aber so ein bisschen zu verstehen, warum dieses Gehirn zum Beispiel so gerne, so ein bisschen wie mit Junkfood, das ist ja das gleiche, sich da so hingezogen fühlt, zu dem SocialMedia-Ding. Es gibt mittlerweile ein eigenes Phänomen oder einen eigenen Begriff für dieses Phänomen des Doomscrolling. Also dass wir durch die… Du kennst das. Durch die negativen Nachrichtenspalten irgendwie durch und gar nicht so richtig davon weg können. Das ist wie diese Chipstüte, die dann plötzlich leer ist oder die halbe Stunde, die dann plötzlich vorbei ist. Und da geht es genau wie du sagst darum, sich das bewusst zu machen. Ich sage immer, wenn Menschen fragen, okay und was mache ich jetzt dagegen? Also wir haben alle diesen Negativitäts-Bias, wir haben alle diese Konfirmations-Bias, also diesen Bestätigungsfehler, Confirmation-Bias, dass wir eher Dinge glauben, die ein unser Weltbild passen und wir haben noch ganz viele andere Biases, mittlerweile gibt es riesige Poster und Dokumentationen, die auflisten, wo unser Hirn alle diese Biases hat. Und da sage ich, Moment mal, also diese Dinge machen alle erst mal Sinn aus evolutionsbiologischer Sicht. Weil der Negativitäts-Bias zum Beispiel sorgt dafür, dass wir überleben, wenn eine Gefahr in der Höhle oder im Haus ist, das ist eine super Sache. Jetzt haben wir aber nur im Jahr 2021 Strukturen geschaffen, die uns da in der Hinsicht so ein bisschen überfordern. Weil ich nenne unser Hirn ja auch immer liebevoll das Steinzeithirn, das funktioniert halt noch genauso wie zu Zeiten von Säbelzahntiger und Mammut. Und jetzt müssen wir einfach schauen, dass wir Strukturen schaffen, die es uns möglichst leicht machen, dass wir darin gut leben können. Das ist ja letztendlich das übergeordnete Ziel, also hoffe ich für jeden Einzelnen, aber natürlich auch als Gesellschaft. Und da können wir uns einfach nur immer wieder bewusst machen, also genau das, was du gerade gesagt hast, immer wieder zu gucken, Moment mal, was mache ich hier eigentlich gerade? Möchte ich das? Egal, ob es beim Essen ist, beim Kontakt mit anderen Menschen oder eben beim Medien- oder noch allgemeiner Informationskonsum. Und ich spreche da ganz gerne immer, wenn ich Verbraucher und Verbraucherinnen oder Konsumentinnen und Konsumenten anspreche oder Rezipientinnen und Rezipienten, als Medienhygiene das Konzept, dafür so ein bisschen zu sensibilisieren. Weil Hygiene ist was, das kennen wir alle. Also die Brücke ist dann schnell gebaut. Wir denken alle drüber nach, was für ein Wasser wir trinken, dass wir regelmäßig duschen, die Haare waschen, was auch immer tun, aber das, was unser sensibelstes Organ, das Gehirn, lassen, da denken wir aus meiner Erfahrung, Beobachtung noch zu wenig drüber nach und deshalb brauchen wir mehr von dieser Informationshygiene. Und da kann tatsächlich jede bei sich anfangen.
00: 17:26-8 Susanne Klingner: Und das kann man im Prinzip, indem man sich einliest auch so ein bisschen, wie funktioniert unser Gehirn und so, also ohne jetzt Fachliteratur lesen zu müssen, aber zum Beispiel dein Buch kann man lesen oder eben auch einfach, dass man so ein bisschen sich besser versteht?
00: 17:40-8 Maren Urner: Ja und auch einfach bewusster. Also wirklich so vielleicht zwischendurch Momente einbaut am Tag, wo man sagt, wie geht es mir eigentlich gerade? Und was macht das gerade mit mir? Und da muss man jetzt nicht irgendwie meditierend dann eine halbe Stunde auf dem Kissen, das ist nicht für jeden das Richtige, aber es gibt Menschen, für die ist das das Richtige. Und das war vorhin auch schon einmal Thema, dass es nicht dieses Allheilmittel gibt. Also deine Medienhygiene, die perfekte Medienhygiene sieht sehr wahrscheinlich, also ich würde sagen, nahezu hundert Prozent anders aus als meine perfekte Medienhygiene. Und das ist ja wunderbar, weil wir sind alle unterschiedlich. Ich hatte auch schon gesagt, das ist das, was mich reizt am menschlichen Gehirn, am Leben generell. Aber es gibt natürlich so Grundprinzipien. Und Grundprinzipien sind zum Beispiel eben nicht, sich einfach nur treiben zu lassen, sondern zu gucken, gibt es vielleicht bestimmte Zeiten, wo ich das Handy weglege oder Momente, zum Beispiel wenn ich in einem sozialen Kontext bin. Also dass ich sage, okay, wenn ich mit Freunden oder Freundinnen unterwegs bin, bleiben die Handys in der Tasche. Oder bestimmte Uhrzeiten, wenn ich eher so ein Mensch bin, der nach Uhrzeiten funktioniert oder Mahlzeiten oder bestimmte Ereignisse am Tag. Also wie Gewohnheiten funktionieren, als Faustregel vielleicht für alle, ist, wenn, dann. Also wie bei Programmierung, also auch da wieder die Brücke zur künstlichen Intelligenz, die If-Bedingung, also wenn, dann. Wenn es so und so spät ist oder wenn die und die Person kommt oder wenn die Sonne scheint, was auch immer, dann mache ich das. Das macht es uns leichter, weil dann haben wir irgendwann einen Automatismus, Stichwort eine Gewohnheit und wir müssen nicht mehr drüber nachdenken. Und ich hatte ja eben schon gesagt, unser Gehirn ist ständig damit beschäftigt, Vorhersagen zu treffen, es ist auch super faul. Warum? Auch da bitte wieder die Nachsicht, naja es will uns am Leben halten. Da ist es ja gut beraten, wenn es möglichst energiesparend unterwegs ist. Das heißt, wenn einmal eine Gewohnheit etabliert ist, dann wird die nicht so schnell geändert. Das kann Vor- und Nachteile haben, das wissen Sie auch alle.
00: 19:34-0 Susanne Klingner: Im Prinzip ist ja so, die Krise wird ja ausgelöst so durch dieses Gefühl der Machtlosigkeit, also dass man so Dingen ausgeliefert ist und dann eben einfach diesen Fight- oder Flight-Modus und eigentlich kann ich gar nicht bewusst reagieren. Und deine Lösung ist ja zum Beispiel, dein Praktikum mit deinem Studium zusammenzubringen, nämlich ein eigenes Medium, also eine Online-Zeitung herauszubringen. Skizziere doch mal so ein bisschen die Idee von Perspective Daily. Also wir haben schon den Begriff Constructive Journalism genannt, was bedeutet das genau?
00: 20:07-4 Maren Urner: Ja, also die Einsatzzusammenfassung von konstruktivem Journalismus oder Constructive Journalism ist, dass er immer die Frage stellt, was jetzt oder wie kann es weitergehen? Und die halt nicht nur für alle die, die sich schon mal mit Journalismus beschäftigt haben, da gibt es ja so diese klassischen W-Fragen oder einen Notruf abgesetzt haben, so wer, wie, was, wann, manchmal noch warum dazu, wo. Und der konstruktive Ansatz nimmt eine zusätzliche W-Frage, die was-jetzt-Frage und packt die oben drauf. Wie so ein Dach, also nicht wie ein Rattenschwanz, der hinten noch mal hinterher gefragt wird, ach so und wie können wir jetzt weitermachen? Sondern wirklich als übergeordnetes Prinzip für die Recherche, für das Schreiben, für das Produzieren generell. Weil wenn wir, und ich nenne es immer gerne so eine Brille, du hast die Brille, ich habe die Kontaktlinsen, also die Brille, die Kontaktlinsen aufsetzen und Frage, was jetzt, wie kann es weitergehen, dann schaue ich anders auf die Welt. Und das ist ja auch die Kernthese in dem Buch, alles beginnt in unserem Kopf, das macht einen riesigen Unterschied. Also wenn ich diese was-jetzt-Frage voranstelle bzw. übergeordnet die ganze Zeit mitdenke, recherchiere ich anders und ich stelle meinen Interviewpartnern andere Fragen. Um das nicht so theoretisch zu lassen und unser Hirn merkt sich am besten ja Anekdoten, weil die sind meist emotionaler, vielleicht eine kurze Anekdote, nicht aus meinem Leben, aber aus der US-Geschichte und damit der Weltpolitik. Als es darum ging, eventuell den Iran kriegerisch zu attackieren oder mit Waffengewalt zu attackieren, hat eine Journalistin John Carry gefragt in der großen Pressekonferenz, was könnten die USA jetzt noch tun, damit der Angriff verhindert wird? Es ist natürlich absolut unmöglich, kausal auseinander zu differenzieren, wie sehr dieses Interview und diese Frage und damit der weitere Verlauf des Interviews dazu beigetragen haben, dass kein Angriff stattgefunden hat, aber es ist ein beispielhafter Prozess, wie konstruktiver Journalismus Weltpolitik zumindest mit beeinflussen kann, weil einfach am Ende dann natürlich international oder nach diesem Interview ganz anders diskutiert wurde. Und das ist der Punkt, wenn Menschen sagen, ja aber wie soll ich denn konstruktiv, deshalb bringe ich dieses Beispiel so gerne, konstruktiv über die Krisen und Konflikte diskutieren? Genau darum geht es, nämlich diese was-jetzt-Frage zu stellen, was könnten wir tun, damit es besser wird? Nicht damit morgen Frieden auf dieser Welt sein wird, ich habe ja auch keine rosarote Brille auf und sage, ja dann wird alles super, sondern damit wir ein Stück nach vorne gehen und nicht die ganze Zeit immer nur nach hinten schauen. Und vielleicht noch zwei Sätze zu Perspective Daily. Also die Gründung war dann tatsächlich auch so ein Chaosding, im Sinne von, wir haben uns gefragt, also wir waren drei Gründer zu Beginn, haben uns gefragt, was können wir jetzt dazu beitragen? Wir waren drei nerdige Wissenschaftler, zwei Neurowissenschaftler, ein Physikochemiker, also perfekte Voraussetzungen, um ein Business zu gründen. Niemand hatte irgendwelche Businesserfahrungen. Und wir haben, das ist das wichtigste Learning, wenn man gefragt wird, was hast du am meisten dabei gelernt, das wichtigste Learning aus der Gründungsphase ist tatsächlich, so blöd und naiv es klingen mag, learning bei doing. Also machen und mit Menschen umgeben, die Ahnung haben von den Dingen, die man wissen möchte. Und dann ist es eine total schöne Erfahrung, aber man muss sich auf die Unsicherheit einlassen, da sind wir wieder beim Anfang. Und dann haben wir halt gesagt, wie machen wir das? Und wir haben einfach mit ganz vielen Menschen auf der Welt gesprochen, die ähnliche Projekte vielleicht schon mal gemacht haben. Was können wir da an Fehlern vermeiden, welche Fehler machen dann wir neu und so weiter und so fort. Und haben dann, wirklich so Kurzzusammenfassung, ein Crowdfunding aufgesetzt, haben also wirklich unsere Jobs gekündigt, haben uns komplett in die Unsicherheit gewagt und haben gesagt, wir konzentrieren uns jetzt darauf, haben ein Gründerstipendium bekommen von der Bundesregierung. Also da kann ich nur jedem, der was gründen will und bis zu fünf Jahre, um jetzt hier nicht Schleichwerbung für die Bundesregierung zu machen, aber das ist ein super Programm, bis zu fünf Jahre nach dem Studienabschluss kann man dieses Exist-Stipendium beantragen, um die Lebenshaltungskosten von maximal drei Menschen zu decken. Und dann haben wir ein Crowdfunding gemacht und dann hatten wir 12.000 Menschen und hatten bekannte Unterstützer, wie Nora Tschirner, die wir vorher nicht kannten, wir haben der einfach einen Email geschrieben tatsächlich und haben gesagt, wir wollen das hier machen und dann hat sie uns angerufen und hat gesagt, okay, ich gehe in die Talkshows und rede darüber, weil uns hat natürlich keiner eingeladen. Und dann ist das erfolgreich gewesen. Und dann hatten wir auf einmal 12.000 Menschen und eine halbe Million Euro eingesammelt, also nicht auf einmal, aber das haben wir dann geschafft und konnten dann das Business starten.
00: 24:34-0 Susanne Klingner: Und um mal an zwei konkreten Beispielen eben so zu besprechen, was ihr da macht, unsere derzeitigen Dauerkrisen sind ja der Klimawandel und Corona. Also Klimawandel auf einer ganz anderen Dimension von der Länge her, aber trotzdem sind es so zwei große Themen. Die sind ja, in den klassischen Medien werden die extrem unterschiedlich behandelt. Also es ist eine zweiteilige Frage, jetzt erst mal, magst du so ein bisschen was dazu sagen, weil es hat ganz viel damit zu tun, wie wir uns angesprochen fühlen oder nicht. Und die zweite Frage wäre dann danach noch, wie bereitet ihr denn genau solche Themen dann auf?
00: 25:12-2 Maren Urner: Darf ich mit der zweiten Frage anfangen?
00: 25:12-2 Susanne Klingner: Wenn du möchtest.
00: 25:15-0 Maren Urner: Weil das spricht an das erste Konzept vom dynamischen Denken, was ich in dem neuen Buch vorstelle, weil ich da daran appelliere und das ist das, was wir bei Perspective Daily eigentlich auch von Anfang an gemacht haben oder versucht haben zu tun, mehr nach dem Wofür statt nach dem Wogegen zu fragen. Und eine der Zutaten, dass wir unterschiedliche Perspektiven an den Tisch bekommen auf journalistischer Ebene war, dann eben zu sagen, wir gehen weg von klassischen Ressorts, wo ich ja, und das spielt so ein bisschen dann auch an den ersten Teil der Frage dann gleich mit ran, wo ich dann ganz klar davon ausgehe, wenn ich die Zeitung aufschlage oder irgendwie so die Nachrichten, so jetzt kommen die Politikthemen, dann kommt das Feuilleton, also je nach Medium ist das dann unterschiedlich, dann kommt das Feuilleton, dann haben wir noch Sport, Gesellschaft, noch die Seite 3 oder was auch immer und mir ist aufgefallen, dass ganz viele Menschen explizit, also wäre auch mal eine interessante Feldstudie, genau den einen Teil lesen. Also die einen lesen die Finanzen, die anderen lesen Politik und die anderen lesen Feuilleton. Und dann habe ich mir mal die Mühe gemacht und habe verschiedene von Spiegel bis Zeit bis weiß ich was, FAZ und auch so ein bisschen das politische Spektrum abbildend, das ist wie gesagt der erste Teil der Frage ja auch, die Sachen in den unterschiedlichen Rubriken durchgelesen und habe gedacht, Mensch was wäre das ein toller Beitrag gewesen, hätten die sich mal vorher zusammengesetzt. Weil ich dachte, das ist ja schizophren, also da sind wir wieder beim Thema Chaos, weil es wirklich komplett unterschiedliche Perspektiven hat. Und die hätten so viel voneinander profitiert bzw. die Berichterstattung, wenn die sich zusammengesetzt hätten. Dann haben wir bei Perspective Daily gesagt, okay wir wollen das anders machen, wir machen keine Ressorts, wir machen Themen. Weil genau wie du die Frage ja auch begonnen hast, hier geht es doch eigentlich um Inhalte. Und wenn ich das Thema Klima, und ich spreche mittlerweile eigentlich fast nur noch von Klimakrise oder -katastrophe, wenn ich mich diesem Themenspektrum oder dieser Gedankenwelt annehmen möchte, dann kann ich da politisch darauf gucken, ich kann da gesellschaftlich, ich kann da feuilletonistisch, ich kann da sogar vom Sport her drauf gucken, das ist völlig egal. Wir müssen da sogar von diesen unterschiedlichen Perspektiven drauf gucken. Und ich versuche, weniger Menschen abzuprelllen, wenn ich eher thematisch drangehe und sage, hey, das ist ein Thema, was uns alle betrifft und dann die verschiedenen Aspekte einpflege. Und dann bin ich auch sehr viel leichter bei dem Wofür und wie können wir weitermachen, weil es auf einmal nämlich um Zukunft geht. Und dann geht es nicht mehr um Politik versus Gesellschaft versus Sport, sondern dann geht es um eine gemeinsame Zukunft, die natürlich verschiedene Lebensbereiche hat, aber die sind menschengemacht. Und diese Grenzen aufzubrechen und nicht mehr in diesen vorgefahrenen Kästen zu denken, und das ist das, vielleicht um die Kritik dann da ein bisschen auch konkret werden zu lassen, was mich eben an vielen anderen Medien stört, ich will nicht sagen, frustriert, aber doch manchmal auch frustriert, ist halt, a) dass sie nicht genug miteinander reden, also die unterschiedlichen Ressorts, dass ein Selbstverständnis von der eigenen Arbeit angenommen wird, das einfach faktisch nicht möglich ist. Also sprich, dass zum Beispiel davon ausgegangen wird, dass eine objektive Berichterstattung möglich ist. Und das ist ja eins, du kennst das erste Buch auch, eins meiner Spielfelder/Kampffelder, wo ich in den Redaktionen der Nationen und mit Journalistinnen und Journalisten der Nation und darüber hinaus im Gespräch, im Austausch bin, um da auch für zu sensibilisieren, dass wir alle immer subjektiv unterwegs sind, aber auch dafür zu sensibilisieren, dass das gut ist und dass das Spaß macht, wenn wir das zulassen und uns eingestehen und nicht proklamieren, wir könnten objektiv diese Welt sehen oder darüber berichten. Letzter Satz zu der Frage, warum das nicht geht, ist spätestes seit 2015 schon auf ganz individueller Ebene der Farbwahrnehmung weltberühmt geworden, vielleicht erinnern Sie sich, ihr euch an the dress, das Kleid. Wenn nicht, später einfach mal googeln oder in eurer Pause googeln das Kleid oder the dress und dann fragen, also wie seht ihr die beiden Farben und dann andere Menschen fragen, weil selbst bei der Wahrnehmung von Farben eines Kleides haben wir keine Objektivität. Weil manche Menschen sehen dieses Kleid als weiß und gold und andere als schwarz und blau und dann gibt es noch welche, die sehen als braun und irgendwas. Also dann ist doch völlig klar, wir müssen reden. Und das funktioniert nicht, indem wir sagen, ich habe recht.
00: 29:28-2 Susanne Klingner: Dieser Perspektivwechsel, den ihr anbietet, also dass ihr sagt, wir schauen in die Zukunft und berichten jetzt nicht nur, was jetzt die letzten drei Tage war, sondern was kommt als nächstes, da kann man natürlich jetzt sehr geduldig warten, dass alle anderen Medien auch anfangen damit. Aber kann man denn vielleicht auch als Leserin, Leser, Zuhörerin, Zuhörer, was weiß ich, selber irgendwie sich austricksen, wenn man klassische Medienberichterstattung konsumiert, sich zum Beispiel diese Frage stellen oder so?
00: 29:57-7 Maren Urner: Ja, also ich bin dir dankbar, dass du das noch mal hier auf die individuelle Ebene hebst. Weil genau das ist natürlich der Punkt, was ich meine, wenn ich sage, alles beginnt in unserem Kopf. Und da sind wir wieder bei der Selbstreflexion. Also ich kann natürlich nicht abstellen die Biases und all das und ich kann natürlich mich nicht auch aus einem System, da ging es ja eben auch schon bisschen drum, System komplett rausnehmen, aber ich kann es halt anders einsortieren und wahrnehmen. Und ich kann auch bewusst für mich entscheiden, nicht nur, wann konsumiere ich, da hatte ich ja eben schon viel drüber gesprochen. Jetzt sind wir ja auch bei dem Was und dann natürlich auch dem Wie. Also ich habe natürlich eine ganz andere Brille als du wiederum oder als Sie alle, wenn Sie bestimmte Dinge wahrnehmen. Und wir können diese Brille aber ständig verändern bzw. noch stärker, wir tun das sowieso. Also doppelte Verneinungen sind für das Hirn eigentlich der Supergau, aber eine ganz wichtige doppelte Verneinung, die mir wichtig ist, ist, wir können uns nicht nicht verändern. Also ganz häufig wird ja immer gesagt, ja wir müssen uns verändern. Ja, super, machen wir sowieso. Wir müssen drüber nachdenken, wie wir uns verändern wollen. Weil die Möglichkeit der Veränderung ist gar nicht da, die ist quasi gegeben. So und jetzt können wir uns also überlegen, möchten wir uns verändern im Sinne von, dass wir uns da hinreißen lassen und immer diesen Negativstrudel und auch sagen, ja okay, das schreiben die und dann Meckermodus an und Sündenbocksuche los geht’s. Oder nutzen wir das, ich sage mal, so ein bisschen auch als Studien-/Unterhaltungsmaterial, um zu gucken, ah so wird hier gerade berichtet, warum haben die das vielleicht gemacht? Und dann auch mit anderen Menschen in einen ehrlichen, und das ist mir ganz ganz wichtig, in einen ehrlichen Diskurs zu treten. Das ist erst mal anstrengend, weil viele Menschen und auch gerade im Journalistischen, sind das gar nicht gewohnt, also diese, ich sage mal, radikale Ehrlichkeit und einfach mal zu fragen, worum geht es eigentlich wirklich? Was ist denn dein Ziel heute, was ist euer Ziel, was ist Ihr Ziel hier heute? Und das ist natürlich auch ein Stück weit entwaffnend, weil das Gegenüber hat ja dann zwei Möglichkeit tatsächlich, zu lügen oder sich wirklich ehrlich zu machen. Und wenn das passiert, das sind so die, ich spreche ungern von Magie, aber vielleicht die magischen Momente, weil dann kann was neues entstehen und dann kann auch auf einmal, Stichwort wofür statt wogegen, kann eine Brücke gebaut werden, weil wir weniger nach dem Trennenden schauen, also Stichwort Gruppendenken, die zweite Zutat beim dynamischen Denken, und mehr nach dem Verbindenden. Also zu schauen, was verbindet uns eigentlich und was ist das gemeinsam Ziel, auch da wieder in die Zukunft gerichtet, wie wir gemeinsam miteinander leben wollen. Also jetzt nicht unbedingt in einem gemeinsamen Haushalt oder so.
00: 32:37-4 Susanne Klingner: Grundsätzlich.
00: 32:38-7 Maren Urner: Auf diesem Planeten Erde.
00: 32:41-4 Susanne Klingner: Der Spruch kommt nicht von dir selber, sondern war ein Schild, ich glaube, auf dem Brocken, da stand drauf, Augen auf und durch, was natürlich ein super, also mich hat das sofort angesprochen und führt natürlich in deinen zweiten Teil gut rein. Also knapp die Hälfte des Buches sind Lösungen für dieses Dilemmas, was wir haben. Und diese zwei Punkte, Neugier und Naivität, also Nachsicht mit unserem Gehirn, hast du ja gerade schon so gesagt, aber dass das so zwei Zutaten sind, die uns einfach rausfahren aus dieser Ohnmacht, die wir quasi gegenüber dieser Dauerkrise haben.
00: 33:18-0 Maren Urner: Genau, Nachsicht haben wir schon ein Häkchen dran, machen wir weiter mit der Naivität, weil die zu gut zu dem Augen auf und durch passt, das war auf dem Brocken, das hast du dir richtig gemerkt, Stichwort Anekdoten, also das war eine Wanderung, die ich da mit meiner besten Freundin auf den Brocken, also der Brocken ist im Harz der höchste Berg, 1100 irgendwas Meter hoch, und da war dann so ein Poster. Und sie sagte, Maren, das ist doch genau unser Ding oder? Und da sagt sie, da steht nicht Augen zu, das war für eine Ausstellung eine Werbung. Und es passt einfach so wunderbar, weil es genau diese Naivität für mich zusammenfasst, die ich versuche, bei den Menschen zu stimulieren bzw. freizusetzen, also diese Liebe fürs Chaos oder für die Unsicherheit, und dieses sich freimachen von dem, das muss jetzt perfekt sein. Also erst mal a) was bedeutet überhaupt perfekt, wer definiert das und macht das dann Spaß? Nein, sehr wahrscheinlich nicht, also wird es auch nicht erfolgreich. Weil im Mittel ist es so, wenn wir von negativen Emotionen getrieben sind, egal ob es Angst, Stress, Wut ist, dann treffen wir keine guten Entscheidungen bzw. dann wird das, was wir produzieren, sehr wahrscheinlich schlechter im Sinne von, das Gemeinwohl, uns und andere Menschen betreffend und auch das Ergebnis qualitativ, als wenn wir positive Emotionen haben. Aber wann können wir positive Emotionen bekommen? Naja nur, wenn wir wirklich auch wahrnehmen und dafür müssen wir die Augen öffnen. Und dafür müssen wir uns naiv und auch ein Stück weit frei machen von diesen ganzen Zwängen und Druck und Vorstellungen. Und wir haben eben ganz kurz, wenn ich das sagen darf, als du gesagt hast, ja bei Konferenzen, die für Frauen ausgerichtet sind, ist es eine andere Grundstimmung, ist eine andere Lockerheit. Und dieser Druck so, der häufig dann da ist und das hat gar nichts damit zu tun, dass ich jetzt irgendwie nur noch mit Frauen interagieren möchte, weil dann kein Druck da ist, da kann auch sehr hoher Druck entstehen, aber sich das dann vielleicht auch mitzunehmen auf die nächste gemischte oder eher männerdominierte Konferenz und da diese Ehrlichkeit und Naivität mal einfach reinzubringen, um mal zu gucken, was passiert dann? Und natürlich ist das erst mal, und da sind wir beim nächsten, mutig bzw. naja wir brauchen Neugier. Also wir brauchen Neugier, auch diese Naivität zu praktizieren und auch mal, viel wird im Moment über Scheitern und Hinfallen und Fehlerkultur und so gesprochen, auch das spielt natürlich da mit rein, mittlerweile ist mir das manchmal schon ein bisschen zu hip, so nach dem Motto, das Scheitern ist jetzt das neue Erfolgreichsein. Also man muss mindestens einmal gescheitert sein, um irgendwie mitreden zu dürfen. Aber gut, das kann auch jeder und jede für sich selbst entscheiden. Aber Neugier und Naivität gepaart sind das, wo unser Gehirn auch uns dafür belohnt. Also das ist das Spannende. Also wir haben uns ja ganz oft diese Strukturen jetzt geschaffen, die uns diese maximale Sicherheit vorgaukeln, Stichwort Versicherungen und so was, und auf der anderen Seite das Neue und das auf den Mond fliegen und Smartphones bauen und Impfstoffe entwickeln und weiß ich nicht was tolles zu tun, das passiert, wenn wir im Neugier- und im Naivitätsmodus sind. Die meisten Erkenntnisse, wann kommen die uns, wenn wir eigentlich nicht davon ausgehen. Das ist der klassische auf der Toilette oder Dusche-Moment. Weil unser Gehirn dann, wenn es vermeintlich nichts tut, das kann es sowieso nicht, auch im Schlaf passiert ganz viel, wenn es vermeintlich nichts tut, dann kommen diese, ich nenne sie, Plopp-Momente, also diese neuen Erkenntnisse, wo auf einmal eins und eins oder eins, zwei und drei oder fünf und sieben zusammenkommen und so ein Aha-Moment entsteht. Und die müssen wir zulassen, indem wir naiv und neugierig sind.
00: 36:43-8 Susanne Klingner: Und das passiert dann in dem Moment, weil diese ganzen Denkmuster, die wir quasi gelernt haben von außen, gerade nicht aktiv sind?
00: 36:52-6 Maren Urner: Weil wir nämlich so wenig über das Gehirn wissen. Das passiert nämlich, weil das Gehirn eben keine Maschine ist. Also da schon mal der Miniappell auch, bitte bitte vergleicht nicht oder vergleichen Sie nicht das Gehirn mit einem Computer. Es ist so anders. Wir haben natürlich mittlerweile und da geht es ja wie gesagt später auch noch drum, um künstliche neuronale Netzwerke und autonomes Lernen und so weiter und maschinelles Lernen und selbstlernende Systeme, aber wir wissen so wenig darüber, wie unser Gehirn wirklich funktioniert. Was wir aber wissen ist, dass es sehr viel kompilierter ist als die meisten Menschen annehmen. Und meine Überzeugung auch ist, dass wir niemals komplett verstehen werden, was da eigentlich passiert. Also Stichwort Bewusstsein, das ist so der heilige Gral der Neurowissenschaften. Was bedeutet es, wenn ich die Farbe rot sehe oder bei dem Kleid zurückkommen, was passiert dann, wenn ich sage, ich liebe das und das oder ich hasse das und das. Und das Faszinierende für mich ist immer mehr, zu erkennen, wie wenig wir, sprich die Menschen, die Menschheit oder ich als Individuum eigentlich darüber weiß, aber diese kleinen unterschiedlichen Erkenntnisse, diese Plopp-Momente, dann kann ich sie triggern, dann kann ich sie auslösen oder dann passieren sie, das zu beobachten und anzuerkennen und einfach dankbar dafür zu sein, wirklich dankbar für diese komplexe Gedankenstruktur da in meinem Kopf zu sein und jede einzelne kann natürlich auch diese Dankbarkeit für sich dann entdecken und zu sagen, okay ich weiß zwar gerade nicht genau, woher das jetzt kommt oder warum ich mich plötzlich wieder an das und das erinnert habe, aber das ist schön und da mache ich jetzt weiter.
00: 38:28-7 *Musik*
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